Pressemitteilung: KAO lehnt die Widerspruchslösung ab

Der Anspruch der Gesellschaft endet an meiner Haut.
Hans Jonas (Philosoph) 1986

“Widerspruchsregelung? Nein danke, der Anspruch der Gesellschaft endet an meiner Haut.” unter diesem Motto hat KAO eine Petition an Bundesminister Jens Spahn bei change.org gestartet.

Ohne Aufklärung über die genauen Abläufe vor und während einer Organentnahme, und die Risiken der Hirntoddiagnostik für den Spender, nur mit der Aussage, dass Organspende ein Akt der christlichen Nächstenliebe sei, kann weder der Einzelne noch die Gesellschaft eine mündige Entscheidung treffen.

Mit dem Zustand „tot“ verbinden die meisten Menschen die Vorstellung einer Leiche mit den sicheren äußeren Todeszeichen wie Leichenflecken und Totenstarre. Sie verbinden damit nicht einen Patienten im Intensivbett mit Beatmungshilfe. Äußerlich unterscheidet er sich nicht von anderen Patienten auf der Intensivstation. Erst die hochkomplexe Diagnose des irreversiblen Hirnversagens erklärt ihn zur Leiche, zu bloßer Materie, zur Sache und bringt ihn damit um seine Rechte als Patient und Mensch.[1]

Organspender sind keine verstorbenen sondern allenfalls sterbende Menschen. Der Grund: man kann nur lebendfrische Organe mit Aussicht auf Erfolg transplantieren und die bekommt man nicht aus kalten, starren Leichen in der Pathologie.

Hochrangige internationale Wissenschaftler bezeichnen eine Organentnahme als „justified killing“, auf Deutsch „gerechtfertigtes Töten“. Überhaupt ist die Gleichsetzung des Irreversiblen Hirnfunktionsausfalles mit dem Tod des Menschen unter Wissenschaftlern in aller Welt hoch umstritten. Das Gleiche gilt für das dazugehörige Diagnoseverfahren, die Hirntoddiagnostik.

Das zeigt auch der Fall der Jahi McMath, die 2013 für hirntot erklärt wurde und ihren kalifornischen Totenschein viereinhalb Jahre überlebte. Das Mädchen starb im Juni 2018 an Leberversagen. Der Fall bedeutet einen Paradigmenwechsel, er war ein Schwerpunkt bei der internationalen Hirntodkonferenz in Harvard im April 2018.[2],[3]

Sollen jetzt in Deutschland im Zuge einer erneuten Gesetzgebung zur Organtransplantation im Eilverfahren Fakten geschaffen werden, bevor die Diskussion um die zwei Tode der Jahi McMath und die Hirntod‐Kontroverse in der Wissenschaft auch hier einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird?

Mögliche Organspender sind Extremfälle der Intensivmedizin. Es wird nie genug Organe geben, zumal die Indikation für eine Transplantation beliebig ausgeweitet werden kann. Aufhorchen lässt in diesem Zusammenhang das aktuelle Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Essen gegen den Klinikdirektor für Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Essen. Dort sollen Organe verpflanzt worden sein, obwohl eine Transplantation medizinisch nicht notwendig war. Einer der Empfänger starb bei der OP. Der Klinikdirektor wurde letzte Woche verhaftet.[4]

Noch ein andere durchaus übliche Praxis ist fragwürdig: In Deutschland steht es den Transplantationszentren frei, wie viele ausländische Patienten auf Privatrechnung mit Organen versorgt werden dürfen. Es gibt keine rechtliche Regelung. “Wenn in Berlin ein schwerkranker Scheich aus Katar ein neues Herz bekommt, verstößt das gegen kein Gesetz”, schreibt die Süddeutsche Zeitung am 30.05.2014.[5]

Alle Krankenhäuser mit Intensivstationen sind Entnahmekrankenhäuser mit Transplantationsbeauftragten. Schon der bloße Verdacht auf einen möglichen Hirntod ist für die Mediziner die Rechtfertigung, die Behandlung eines Patienten umzustellen: Von medizinischen Maßnahmen die ausschließlich ihm selbst dienen auf sogenannte spendezentrierte Maßnahmen zugunsten des späteren Organempfängers. Diese Spenderkonditionierung (= spendezentrierte oder organprotektive Maßnahmen) kann dazu führen, dass der Patient, obwohl er bereits aufgegeben wurde im Wachkoma landet.[6] Darüber hinaus muss man sich einmal vorstellen: Bei aussichtsloser Prognose soll beim Patienten eine „neurologische Progredienz“ zugelassen werden. Im Klartext heißt das, dass die Verschlechterung des Patientenzustandes im Hinblick auf die geplante Hirntoddiagnostik in Kauf genommen wird.[7]

Eine Hirntoddiagnostik ist gefährlich, weil der obligate Apnoe-Test (Atem-Test) den Zustand erst herbeiführen kann, den er testen soll.[8],[9]

In der Praxis geschieht all dies in aller Regel ohne vorherige Rücksprache mit den Angehörigen oder dem

Außerdem ist die Hirntod‐Diagnostik hoch komplex und schwierig. Sie kann wie jede andere Diagnose fehlerhaft sein. Eine Tatsache, die zwar offiziell abgestritten wird, aber durch die Nachuntersuchung eines klinischen Neurologen in Deutschland wissenschaftlich belegt ist.[10]

Die jetzt geforderte „Widerspruchslösung“ nimmt das Einverständnis der Bürger zur Organentnahme als gegeben an. Ein Einverständnis, das bei Kenntnis aller Umstände wohl die wenigsten Bürger geben würden. Völlig offen ist dabei, was mit Menschen geschehen soll, die gar nicht widersprechen können, weil sie unmündig sind. Sind sie auch automatisch Organspender?

Bereits jetzt haben wir eine versteckte Widerspruchslösung: Wer nicht bereit ist, sich der Spenderkonditionierung und der Hirntoddiagnostik auszusetzen, der sieht sich bereits heute gezwungen dokumentiert zu widersprechen. Nur so kann er ausschließen, dass Angehörige ohne Kenntnis der Abläufe einer Organentnahme zustimmen.

Die nun mit Macht propagierte Widerspruchsregelung macht uns zum Eigentum und Opfer der Transplantationsmedizin und des Staates. Gemeinsam drängen sie sich in unser Leben. Sie stellen ihre Interessen über unsere Selbstbestimmung, unsere Rechte und unser Mensch sein.

Die Mehrheit der Menschen wünscht sich einen behüteten, begleiteten Sterbeprozess bis zum Schluss und einen friedvollen, würdigen Tod. Bei einer Organentnahme ist dies nicht möglich.

Mit Hinblick auf die Fallzahlen und den Erhalt der staatlichen Transplantationszentren versprechen Medizin und Staat anderen einen Vorteil zu unserem Nachteil. Im Namen einer absoluten Minderheit (0,0125%) werden 100% unserer Gesellschaft in die Pflicht genommen und gezwungen zu handeln, um sich einer ungewollten Organentnahme zu entziehen.

Der Begriff „Spende” wird pervertiert und zu einer Zwangsabgabe von Menschen, die man von offizieller Seite nicht darüber aufgeklärt hat,[11] welche Belastungen und Risiken sie auf sich nehmen und was sie genau erwartet. Und zwar bei der Spenderkonditionierung, bei der Hirntoddiagnostik und bei der Organentnahme.

Wüssten sie davon, wäre es ihnen sicher nicht gleichgültig.

Literatur:
  1. Manzei, Alexandra: Interview zur Organspende‐Regelung: Wer noch warm ist, ist nicht tot, Frankfurter Rundschau, 22.05.2012

  2. Defining Death: Organ transplantation and the 50 year legacy of the Harvard report on brain death, 11. — 13.04.2018, Übersetzung des Programms: Den Tod definieren — Organtransplantation und das 50-jährige Erbe des Harvard Berichts zum Hirntod

  3. Aviv, Rachel: What does it mean to die?, The New Yorker, 05.02.2018, Übersetzung von Renate Focke, Was bedeutet es zu sterben?

  4. Universitätsklinikum Essen drohen Konsequenzen nach Verdacht bei Organspendeverstößen, Ärzteblatt 05.09.2018

  5. Berndt, Christina: Debatte um gerechte Verteilung von Organen —Eurotransplant gegen Organspenden an Ausländer, Süddeutsche Zeitung 30.05.2014

  6. Aken, Hugo Van; Brodner, Gerhard: Medizinethik: Wichtige Hilfestellung, Dtsch Arztebl 2011; 108(46): A 2486 / B 2086

  7. DKI Studie 2012 — Blum, K.: Inhousekoordination bei Organspenden — Abschlussbericht, Düsseldorf 2012, Seite 71

  8. Coimbra, Cicero: Der tödliche Apnoetest, Interview von Silvia Matthies 19.02.2009

  9. Wiesemann, Claudia: Hirntod-Diagnostik — Annäherungen an den Tod, Süddeutsche Zeitung, 04.06.2015

  10. Matthies, Silvia, Tabu Hirntod — Zweifel an der Qualität der Diagnostik | REPORT MÜNCHEN, ARD 20.11.2012, 21:45 Uhr / YouTube Kanal der ARD

  11. Becker, Kim Björn: Organspende — Einseitig interessengeleitete Informationspolitik, Frankfurter Allgemeine Zeitung, aktualisiert am 14.03.2018

KAO
KAO