Die Konsequenz aus einer möglichen Widerspruchsregelung und dem „Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende“ (GZSO) – bereits geltend seit 01. April 2019

Jeder Patient mit einer primären oder sekundären Hirnverletzung wird erst einmal als Organspender behandelt, bis sein dokumentierter Widerspruch oder seine aussagekräftige Patientenverfügung der Intensivstation (Entnahmekrankenhaus) nachweislich vorliegen.

Schon bei Verdacht auf Hirntod oder erwartetem Hirntod bedeutet das für den Patienten:

  • zwingend das Absetzen der Schmerz- und Beruhigungsmittel zum Zweck der geplanten Hirntoddiagnostik. Auf diese Problematik für den Patienten hat auch der Deutsche Städtetag in seiner Stellungnahme zum GZSO mit Schreiben vom 19.09.2018 an das Bundesgesundheitsministerium hingewiesen.[1]
  • Meldung des Patienten an die DSO
  • bereits fremdnützige organprotektive Maßnahmen
    (Spenderkonditionierung) zum Erhalt der Organqualität zu Gunsten eines späteren Empfängers, auch Donor-Management genannt [2]
  • Hirntoddiagnostik

Zur Spenderkonditionierung gehören routinemäßig intensivmedizinische Maximaltherapie mit verschiedenen Eingriffsintensitäten:

  • mittlere Eingriffsintensität:
    z.B. Einleitung von Nierenersatzverfahren, Intensivierung der invasiven Beatmung
  • hochgradige Eingriffsintensität:
    z.B. mechanische oder extrakorporale Reanimation, Massivtransfusion, operative Maßnahmen zur Behandlung von Komplikationen

Auf Grund der forcierten Spenderkonditionierung besteht in seltenen Fällen die Möglichkeit, dass der Patient trotz infauster Prognose im Wachkoma landet.[3]

Erst nach Vorliegen der vollständig protokollierten Hirntoddiagnose gilt der Patient juristisch als tot. Trotzdem werden diese Maßnahmen bereits vor der Hirntoddiagnostik, ohne informierte Zustimmung beim noch lebenden Patienten durchgeführt bis seine aussagekräftige Patientenverfügung mit dem Wunsch nach Therapielimitierung und Widerspruch zur Organspende vorliegt.

Ob eine Prüfung des Patientenwillens zwingend geboten ist, bevor mit Maßnahmen, die auf eine Spende abzielen, begonnen wird, ist dabei nach wie vor unklar.

Bei der Hirntoddiagnostik handelt es sich um einen invasiven Eingriff, für den nach geltendem Recht wie bei allen anderen medizinischen Eingriffen eine informierte Zustimmung eingeholt werden müsste.

Das gilt vor allem für den bei der Hirntoddiagnostik obligaten Apnoe-Test, ob die Eigenatmung noch funktioniert. Der Apnoe-Test kann für den Noch-Patienten schwerwiegende gesundheitliche Risiken zur Folge haben.

Deshalb müsste nach geltender Rechtslage für die Hirntod-Diagnostik die informierte Zustimmung des Patienten oder seines rechtlichen Vertreters eingeholt werden, was aber meist nicht erfolgt.

Auch der Anästhesist und Direktor des Centers of Bioethics der Harvard Medical School Robert Truog fordert unmissverständlich die Einholung einer informierten Zustimmung für die Hirntoddiagnostik, insbesondere für den risikoreichen Apnoetest.[4] Er bezeichnet die Hirntoddiagnose auch als „selbsterfüllende Prophezeiung“.[5]

Während im Entwurf zum GZSO vom 8.1.2019[6] noch steht, dass „ die Hirntoddiagnostik unterbleibt, wenn dem Entnahmekrankenhaus bekannt ist, dass einer Organspende widersprochen wurde”, ist dieser Punkt im jetzt gültigen GZSO vom 01. April 2019 nicht mehr zu finden.

Im Gegenteil, jetzt heißt es:

TPG § 9a Entnahmekrankenhäuser

“Die Entnahmekrankenhäuser sind verpflichtet, den endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms von Patienten, die nach ärztlicher Beurteilung als Organspender in Betracht kommen, nach § 5 festzustellen.”

Heißt das in der Konsequenz, dass bei jedem Patienten mit einer schweren Hirnschädigung eine Hirntoddiagnostik durchgeführt werden muss, sobald der Verdacht auf Hirntod ärztlicherseits im Raum steht? Auch ohne vorherige Klärung, ob ein Widerspruch vorliegt und Einwilligung durch den Patientenvertreter?

Das wäre aus Sicht von KAO eine Diskrepanz zum Patientenrechtegesetz, das für invasive Eingriffe zwingend eine informierte Zustimmung des Patienten oder seines rechtlichen Vertreters verlangt (§ 630d Abs. 1 S. 1 u. 2 BGB).

Vor der Verabschiedung des Gesetzes muss das rechtlich geklärt werden.

Genauso wie die Tatsache, dass der Transplantationsbeauftragte, der das gesamte Donor-Management organisiert, den Hirntod feststellen darf. Das wurde zwar von der Ständigen Kommission Organtransplantation (StäKo) der Bundesärztekammer im Januar 2014[7] als unvereinbar mit der Tätigkeit des Transplantationsbeauftragten bezeichnet und zwischenzeitlich unterbunden, dann aber wieder erlaubt.

KAO bittet die Mitglieder des Bundestages dringend, die angesprochenen Punkte in der anstehenden Bundestagsdebatte zu diskutieren und zu berücksichtigen.

Angesichts der einschneidenden Folgen, die sich für schwer hirnverletzte, möglicherweise als Organspender in Betracht kommende Patienten durch die vorgeschlagene „Widerspruchsregelung“ ergeben, ist nach unserer Meinung der Gesetzentwurf abzulehnen.

Aus gegebenem Anlass:
Eine Kostprobe der Nachrichten, die KAO regelmäßig von entsetzten Angehörigen erreichen.

Hier ein aktuelles Beispiel aus Österreich, dort gilt bereits ein Widerspruchsgesetz. Offiziell heißt es von Seiten der Transplantationsbeauftragten immer, dass ein Widerspruch der Angehörigen beachtet wird. Nicht so in diesem Fall. Es ist bereits der zweite Fall dieser Art, der uns jüngst erreicht hat:

——– Ursprüngliche- Nachricht ——–

Von: C. G. <Name und E-Mail-Adresse liegen KAO vor>

Datum: 08.01.20 13:22 (GMT+01:00)

An: kontakt@dev.initiative-kao.de

Betreff: Organspendefall gegen den Willen in Österreich

Guten Tag,

ich bin durch meine Recherchen auf Ihren Verein gestoßen. Wir haben einen Fall der Organspende gegen unseren Willen in unserer Familie.

Meine Schwester ist 2017 sehr tragisch in Wien verunglückt und wurde ins AKH gebracht. Ihr Hirntod war noch nicht offizielle festgestellt, da haben die Ärzte uns bereits mitgeteilt, dass sie die Organe spenden muss.

Da wir von Anfang an dagegen waren haben wir alles versucht um es nicht soweit kommen zu lassen, jedoch hätte sich meine Schwester dafür ins Register eintragen lassen müssen. Nun haben sie gegen unseren Willen trotzdem die Organe entnommen. Nachdem wir gefragt hatten bei der Hirntoddiagnostik dabei sein zu dürfen, was uns jedoch abgelehnt wurde und nachdem wir das EEG beantragt hatten jedoch nach sehr langem E-mail-verkehr erst nach 1 Jahr bekommen haben. Zweifeln wir an der Richtigkeit der Hirntoddiagnostik bei meiner Schwester.

Können Sie uns in irgendeinerweise weiterhelfen bzw. kennen Sie jemanden in Österreich der sich dafür einsetzt?

Mit freundlichen Grüßen

C.G.

LITERATURHINWEISE

    1. Stellungnahme des Deutschen Städtetages zum Referentenentwurf eines Gesetzes für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende (GZSO) mit Schreiben vom 19.9.2018 an das Bundesgesundheitsministerium – Zitat (Hervorhebung durch KAO):

      „In der Begründung für den Gesetzesentwurf wird wiederholt das Ziel formuliert, dass eine Meldung eines potentiellen Organspenders zu erfolgen hat, ohne dass vorher geklärt wird, ob einer potentiellen Organentnahme überhaupt zugestimmt werden würde. Hierzu erhielten wir aber aus der Praxis wichtige Hinweise:

      Um einen Spender zu identifizieren, ist die Durchführung der Hirntodfeststellung zwingend erforderlich. Im klinischen Alltag wird national und international in den meisten Kliniken eine Hirntoddiagnostik ganz überwiegend dann durchgeführt, wenn eine potentielle Zustimmung zur Organspende vorliegt. Die Durchführung einer Hirntoddiagnostik ist fast immer verbunden mit dem Ziel, eine Organspende zu realisieren, die Hirntoddefinition erfolgt im Zuge der Entwicklung der Transplantationsmedizin. Beim allergrößten Teil schwer hirngeschädigter Patienten wird die Therapie ohne Hirntoddiagnostik beendet, sobald schwerste irreversible Hirnschäden diagnostiziert sind und kein weiterer Behandlungswunsch des schwerstgeschädigten Patienten entweder anhand von Patientenverfügung oder im Gespräch mit den Angehörigen detektiert werden kann. Keineswegs wird beim überwiegenden Teil der Patienten mit schwerer Hirnschädigung die Todesfeststellung/Indikation zur Therapieeinstellung in Form einer Hirntoddiagnostik durchgeführt. Das übliche Vorgehen (Klärung, ob potentiell eine Zustimmung zur Organspende gegeben ist, danach Durchführung der Hirntoddiagnostik) begründet sich wie folgt:

      Zur Durchführung der klinischen Hirntodfeststellung ist es unbedingt erforderlich, dass der Patient frei von sedierenden Medikamenten ist. Da schwer hirnverletzte Patienten aus therapeutischen Gründen in tiefer Sedierung gehalten werden, sind bis Beginn einer Hirntoddiagnostik bei diesen Patienten meist tagelange „Abklingphasen“ ohne Sedierung und ohne Schmerzmedikation erforderlich. Falls der Patient nicht hirntot ist, erleidet er in dieser Phase potentiell Schmerzen. Es ist aus Sicht vieler Ärzte unethisch einen Menschen dem Risiko von Schmerzen auszusetzen (Nämlich dann, wenn er schwerste Hirnschäden hat, aber nicht hirntot ist. Dies stellt erst die Hirntoddiagnostik fest. Diese ist aber erst möglich, wenn jegliche Analgosedierung abgeklungen ist), von dem nicht bekannt ist, dass er sich positiv zu einer potentiellen Organspende nach Feststellung seines Hirntods positioniert hat. Falls eine Zustimmung zur Organspende vor Absetzen der sedierenden Medikation vorliegt/anzunehmen ist, postulieren viele Ärzte, dass der potentielle Spender damit auch dem Risiko zugestimmt hat, dass bei ihm ohne Vorliegen des Hirntods sedierende und schmerzbekämpfende Medikamente abgesetzt werden, ausschließlich um eine Hirntoddiagnostik durchzuführen.

      Sollte mit dem Gesetzentwurf die regelhafte Durchführung von Hirntoddiagnostik bei allen schwerst-hirngeschädigten Patienten initiiert werden, so müsste dies offen im Gesetzestext formuliert werden.

      Die ethische und finanzielle Dimension (verlängerte Behandlungszeiten bei allen Patienten, Hirntoddiagnostik bei vielen Nicht-Organ-Spendern) dieses Paradigmenwechsels muss offen diskutiert werden.“

 

  1. Neitzke,G.et al.: Entscheidungshilfe bei erweitertem intensivmedizinischem Behandlungsbedarf auf dem Weg zur Organspende. In: Medizinische Klinik-Intensivmedizin u. Notfallmedizin, April 2019

  2. Van Aken,H., Brodner, G.: Konfliktfall Organspende In: Anästheologische Intensivmed. 2012;47(3):133-134

  3. R.Truog C.Tasker: Counterpoint: Should Informed Consent be required for Apnea-Testing in patients with suspected brain death. In: Chest, October 2017, Vol.152, Page 702-704

  4. Truog RD. Defining Death—Making Sense of the Case of Jahi McMath. JAMA. 2018;319(18):1859–1860. doi:https://doi.org/10.1001/jama.2018.3441

  5. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes-Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende. Zu Nummer 3, S.26, 1. Abs Drucksache 19/6915 vom 08.01.2019 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/069/1906915.pdf

  6. DSO: Wichtige Information an die Transplantationsbeauftragten vom 10.01.14, Zitat:
    „Die StäKo der Bundesärztekammer hat die DSO über die grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen den Aufgaben des Transplantationsbeauftragten nach § 9b TPG und den ärztlichen Aufgaben im Rahmen der Feststellung des Hirntodes gemäß der Richtlinie der BÄK nach § 16 Abs.1 Nr. 1 TPG unterrichtet.“

Stellungnahme herunterladen:
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